In der modernen russischen Lebensweise spielen die Beziehungen zwischen den verschiedenen Völkern, Kulturen, Wirtschaftsmodellen eine ganz besondere Rolle. Nein, nein, manchmal wird sogar gedacht, dass sich heute bei uns eine neue Lebensweise entwickelt. Ähnliches geschah in Russland vor drei Jahrhunderten, und dieser Prozess der kulturellen-ökonomischen «Gärung», der kulturellen-ökonomischen Wechselwirkung begann genau mit den Deutschen, mit ihrem Eintritt in die russische Ökumene.
Im Ural im Allgemeinen und im Südural im Besonderen gab es einige Wellen, als der deutsche Einfluss besonders spürbar war, die Ankunft der Deutschen im Ural den Charakter des Alltagslebens, der Produktion, der Beziehungen änderte. Die erste Epoche war zweifellos mit den Reformen Peters I. und dem Wunsch Russlands verbunden, sich in die europäische Ordnung einzubringen. Es war die Verwaltungsepoche, als sich die Schlüsselinstitute der Macht entwickelten: von der Neuordnung des Orenburger Gouvernements und der Verwaltung der Bergbaubetriebe bis zur Bildung von Militärstützpunkten, Wirtschaftsbehörden, eines «gehorsamen Staatsapparates».
Die zweite Welle, die den Südural buchstäblich umgestaltet hat, ist mit Slatoust – jener merkwürdigen russischen und, so seltsam es klingen mag, gleichzeitig deutschen Stadt – verbunden. Im Ergebnis der Gründung einer Waffenfabrik und der Einladung von Meistern aus Solingen, entstand hier eine neue Produktionskultur, die später nur geschliffen und vervollkommnet wurde. Die deutschen Zeitarbeiter wurden im Ural ansässig, nahmen die russische Staatsangehörigkeit an und fühlten sich in den hiesigen Regionen schon nicht mehr als «Außenstehende».
Aber dabei verloren sie auch ihre einzigartigen nationalen Eigenheiten nicht. Sie fügten dem russischen Leben und der Mentalität die deutsche Gewissenhaftigkeit und den Eifer, die strenge Erfüllung der Pflichten, die strenge Ordnung und die Organisiertheit, den gründlichen Beherrschung ihrer Tätigkeit hinzu. Diese deutsche «Einimpfung des Professionalismus» hat sich für den Ural als so bedeutsam erwiesen, dass auch heute die Region, in vielen kulturellen Traditionen und industriellen Besonderheiten, im Charakter der ganzheitlichen Entwicklung an jenen deutschen Anfängen festhält.
Eine weitere Welle des deutschen Einflusses auf den Südural fiel auf den Anfang des 20. Jahrhunderts, als Zentralrussland und das deutsche Wolgagebiet in Bewegung kamen, und die durch die Stolypin-Reformen gewährte Möglichkeit nutzten, in neue Gebiete umzusiedeln. Der Südural, damals bereits sehr wohlhabend, ausgestattet mit der notwendigen Infrastruktur und zuverlässig mit anderen russischen Regionen verbunden, war attraktiv für ein neues Leben. Und so zogen die Menschen hierher.
Die revolutionären Erschütterungen, die jähen Wendungen der Geschichte, die das Land im 20. Jahrhundert erlebte, die schweren Prüfungen, die es zu bestehen hatte, ließen natürlich die menschlichen Schicksale nicht unberührt – sie wurden tragisch in den neuen historischen Umständen zerrieben. Deshalb war es uns in unserem Buch so wichtig, von den «russischen Deutschen» zu erzählen, die sich in den «schicksalhaften Minuten» im Südural aufhielten.
Natürlich ist es unmöglich, drei Jahrhunderte der deutschen Geschichte des Urals in einem Buch zu umfassen, ausführlich von den Menschen und den Geschehnissen zu erzählen. Eine solche enzyklopädische Aufgabe haben wir uns auch nicht gestellt. Es war wichtiger, «Knoten zu knüpfen» – von Epochen und Schicksalen, die das Leben jener Menschen prägten, die in dieser Geschichte eine bedeutende Rolle gespielt haben. Ein menschliches Mosaik vor dem Hintergrund der Zeit – so könnte man wohl das Genre dieses Buches charakterisieren. Eines Buches, das die Vergangenheit der Deutschen des Urals mit ihrer Gegenwart verbinden soll, eine Art kleine Brücke zwischen den Zeiten.